„Wir brauchen ein kollektives Vergütungssystem für von der KI genutzte Inhalte.“
Was leisten Wochenblätter heute – und warum sind sie wichtiger denn je? Sabine Verheyen, Erste Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, hat auf der BVDA Jahrestagung die Fahne für die Wochenzeitungen hoch gehalten. Wir haben mit der Politikerin in Berlin über ein Vergütungsmodell für Inhalte, die zum Training von KI genutzt werden, den Umgang mit Künstlicher Intelligenz im Journalismus, Plattformmacht, Herausforderungen für Lokalmedien und den Status quo der europäischen Mediengesetzgebung gesprochen.
Sie haben auf der BVDA Jahrestagung 2025 in Berlin einen Vortrag zur Zukunft der Wochenblätter gehalten. Ihre Botschaften kurz zusammengefasst lauten?
Ich habe darüber gesprochen, was wir auf europäischer Ebene tun, um den Pressebereich zu stärken. Medien – und dazu gehören natürlich auch Wochenblätter – sind für mich ein unverzichtbarer Bestandteil einer funktionierenden Demokratie. Gerade in ländlichen Regionen sind kostenlose Anzeigen- und Wochenblätter oft die einzigen Medien, die noch in nahezu jedem Haushalt ankommen. Sie erreichen Menschen, die auf anderen Kanälen vielleicht gar nicht mehr angesprochen werden.
Sie meinen Social Media?
Vor allem. Wochenblätter bieten einen breiteren Blick als Social-Media-Kanäle, die uns durch Algorithmen oft nur Inhalte aus unserer eigenen Bubble zeigen. Wochenblätter hingegen informieren über das, was direkt vor unserer Haustür passiert: lokale Veranstaltungen, Vereinsleben, gesellschaftliches Engagement. Vieles davon wird von klassischen Tageszeitungen nicht mehr abgedeckt – dort fehlt oft der Platz. Wochenblätter schließen diese Lücke und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Dennoch fühlen sich viele Wochenblatt-Verlage und auch der Verband von der Politik nicht ausreichend vertreten. Wie kann das sein?
Dieses Gefühl gibt es nicht nur bei den Wochenblättern, sondern in der gesamten Pressebranche. Als wir beispielsweise in Brüssel den Digital Services Act (DSA) verhandelt haben, haben wir uns im Kulturausschuss dafür eingesetzt, den Medienbereich herauszunehmen. Presseprodukte unterliegen bereits strengen Regeln, redaktioneller Verantwortung, Presseräten – sie brauchen keine zusätzliche Plattform-Regulierung. Leider ist das im DSA nicht gelungen. Deshalb haben wir mit dem European Media Freedom Act (EMFA) gezielt genrespezifische Ergänzungen eingebracht.
Wann wird der EMFA wirksam?
Die Vorgaben des EMFA müssen bis spätestens August dieses Jahres umgesetzt werden. Das ist eine Verordnung, keine Richtlinie – sie gilt also direkt in allen Mitgliedsstaaten. Aber: Die Kommission muss ihre Rolle als Hüterin der Verträge auch ernst nehmen. Wir kennen aus der Vergangenheit Beispiele, bei denen Sanktionen erst Jahre nach Fristablauf kamen. Deshalb beobachten wir die Umsetzung sehr genau – unter anderem mit einer eigenen Arbeitsgruppe.
Viele Wochenblattverlage und auch andere Publisher wünschen sich von der EU und der deutschen Regierung mehr Schutz vor der Übermacht amerikanischer Plattformen. Wie realistisch ist das?
Mit Gesetzen wie dem DSA, dem Digital Markets Act und der Anti-SLAPP-Richtlinie schaffen wir Grundlagen. Aber es geht nicht nur um Gesetzgebung, es geht um die konsequente Durchsetzung. Die EU-Kommission hat mittlerweile erkannt, wie gefährdet der Pressesektor ist, gerade durch Werbeeinnahmeverschiebung und Inhaltsfilterung auf Plattformen. Was wir brauchen, ist ein verlässlicher Schutzraum für redaktionelle Inhalte – und dafür treten wir ein.
Wie will die EU Plattformen wie Meta oder Google wirklich treffen? Eine Strafe wird doch oft einfach mit eingepreist.
Das stimmt – zumindest, solange es Einzelfälle sind. Aber wenn Sanktionen häufiger und empfindlicher werden, ändert sich etwas. Entscheidend ist, dass europäische Regeln gelten – auch für US-Konzerne. Meinungsfreiheit zum Beispiel endet in Europa dort, wo bewusst Desinformation betrieben wird. In den USA ist vieles durch Meinungsfreiheit gedeckt, was bei uns unter Strafe steht. Das ist ein fundamentaler Unterschied, den wir verteidigen müssen.
Trump bereitet Ihnen hier sicher Kopfschmerzen. Was ist der Plan?
Was auf der amerikanischen Seite in der Politik zurzeit passiert, gibt mir natürlich zu denken. Trump sieht offensichtlich mal mehr oder weniger jede Einschränkung seiner Plattformen als Angriff auf die amerikanische Wirtschaft an. Die Europäische Union muss dennoch auch stark bleiben. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, dass amerikanische Unternehmen ihre Dienstleistungen im digitalen Bereich ohne Einschränkungen auf den europäischen Markt bringen – auch wenn das dann von Trump gedeckt ist.
Ein großes Thema für Publisher ist auch die Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten. Wie stehen Sie dazu?
Wenn ein Inhalt im Bereich Nachrichten, Bildung und Wissensvermittlung vollständig KI-generiert ist, sollte er aus meiner Sicht klar gekennzeichnet sein. Wenn KI nur unterstützend genutzt wird, liegt die Verantwortung weiterhin beim Menschen. Transparenz ist wichtig: Welche Quellen wurden verwendet? Welche Datenbasis lag zugrunde? Ein Symbol, ein Hinweis – das reicht oft schon, um Vertrauen zu schaffen. Auf EU-Ebene wurden im AI Act erste Grundlagen gelegt. Jetzt folgen noch Durchführungsbestimmungen. Auch im Kultur- und Medienausschuss haben wir uns für eine Kennzeichnungspflicht bei News-Inhalten starkgemacht. Gerade im journalistischen Bereich darf KI niemals den Menschen ersetzen – sie kann unterstützen, aber nicht führen.
Und wie sieht es heute und in Zukunft mit der fairen Vergütung von Inhalten aus, die zum Training von KI genutzt werden?
Über die Copyright Directive haben wir Rechte gestärkt – aber es fehlt an durchsetzbaren Strukturen. Wir brauchen ein kollektives Vergütungssystem, ähnlich wie die GEMA, das auch kleineren Medienhäusern zugutekommt. Es wäre nicht praktikabel, wenn jeder Artikel einzeln lizenziert werden müsste. Ziel ist ein Modell, das einfach, fair und transparent ist – und bei dem auch die Journalisten selbst profitieren.
Es wird schon so lange diskutiert. Haben Sie selbst die Hoffnung, dass ein akzeptables Vergütungssystem bald kommt?
Es gibt in Brüssel nicht so viele, die sich wirklich sehr intensiv mit dem Mediensektor auseinandersetzen. Und deshalb ist das immer so ein bisschen so eine Nische. Wir merken das auch wieder in vielen Gesprächen, die wir in den letzten Wochen geführt haben. Daher ist es wichtig, immer wieder auf diese Themen und auf die besonderen Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Das grundsätzliche Bewusstsein ist da – auch in der Kommission. Wir arbeiten auf parlamentarischer Ebene kontinuierlich daran, mit Berichten, Anhörungen und Gesprächen. Wichtig ist, dass wir Medienvielfalt und Unabhängigkeit sichern. Und das bedeutet auch: Unabhängigkeit von großen Plattformen.